6. November 2009

Die Teilnehmer

Es ist jetzt über einen Monat her, seitdem ich zum letzten Mal ein paar Worte in diese virtuelle Zeitschrift getippt habe, und es ist eine Menge passiert, von dem ich in dem heutigen Eintrag berichten möchte. Zu Beginn sei allerdings gesagt, dass es mir Leid tut, dass ich euch so lange hab warten lassen.

Nachdem die Phase des Wartens, die sich die ersten zwei Monate meines Aufenthalts breit machen durfte, mit Ankunft der Teilnehmer um den sechsundzwanzigsten September ihren Abschluss gefunden hatte, fand sich wieder Leben, aber auch eine Menge Arbeit auf dem Campus ein.
Komischerweise war die Ankunft der Teilnehmer eher ein fließender Übergang von "leerer Campus" zu "voller Campus" und anstatt einer großen Wiedersehensfeier, wie ich es, um ehrlich zu sein, mir vorgestellt hatte, gab es nur kleine sich aufregend unterhaltende Gruppen.

Der erste Montag brachte auch die erste GA (General Assembly), also eine Vollversammlung, die um 7 Uhr morgens - viel zu früh für meine Gewohnheiten - stattfindet, mit sich. Robert und ich wurden auf die Bühne gerufen und durften uns vorstellen. Die Tatsache, dass ich noch nie wirklich in Berührung mit der Blindheit stand, erstaunte die meisten. Eigentlich war ich selbst darüber erstaunt; ich hatte bislang nicht die leiseste Ahnung, wie das Leben für blinde Menschen "aussieht".

Schnell habe ich mich in das Campusleben mit den Teilnehmern einfügen und mittlerweile habe ich hier schon Freundschaften schließen können. Die Teilnehmer kommen von überall von der Welt; aus Liberia, Sierra Leone, Ghana, Kenya, Saudi Arabien, Nepal, Tibet, Indien, Norwegen und Deutschland. Jeder hat seine individuelle Geschichte zu erzählen. Der Campus war komplett.

Blood Donation Day

Vor ungefähr 5 Wochen, am ersten Oktober, fand der internationale Blutspendetag statt, den der Campus gebührend feierte. Karin aus Norwegen hatte ihr Praktikum bei Terumo Penpol gemacht, einem Unternehmen, das medizinische Ausstattung herstellt; darunter fallen auch diese kleinen Plastikbeutel, in denen das Spenderblut aufbewahrt wird. Zusammen mit dieser Firma hat Karin ein großes Fest organisiert, um den Tag zu celebrieren und zur Blutspende in Indien aufzurufen. Der Tag war ein großer Erfolg für Karin, für uns Spender und für die gute Intention, die hinter dem ganzen stand.

Das Fest war für den kompletten Tag geplant. Wie sich für mich herausstellte ist Sabriye eine begnadete Rednerin, die sowohl mit Witz, als auch mit viel Gefühl das Publikum in ihren Bann zog. Weitere Reden folgten von wichtigen Ministern bis hin zu Asif Ali, einem berühmten Malayalam-Moviestar.

Am Ende des Tages haben Robert und ich sogar zwei Luftballons von drei kleinen Mädchen bekommen, die uns schon den ganzen Tag beobachtet haben. Die Aufschrift: "Don't forget us". Ein rührendes Erlebnis.

Ein paar Tage später stieß übrigens ein neuer Freiwilliger zu unserem IISE-Team. Sein Name ist Talal, er ist 17, und eigentlich weiß er selbst nicht einmal genau, wo er herkommt. Er ist in Frankreich geboren, spricht mit seiner Familie daher französisch, lebte dort 6 Jahre, bevor er weitere 6 Jahre in Indonesien gelebt hat. Mit 12 ist er nach Californien gezogen, und hat dort bis vor kurzem ein Internat besucht. Sein Vater ist der President von McKinsey - einige von euch kennen diese riesige Consultingfirma wahrscheinlich - im Mittleren Osten. Seine Eltern leben daher in Dubai.
Eigentlich ist er ein echt super Kerl, aber im Moment verdächtige ich ihn meine Schokolade aus unserem Gemeinschaftskühlschrank stiebitzt zu haben. Er leugnet es zwar, aber die Spuren führen zu ihm...

Veli

Die Wochenenden stehen allen Beiteiligten frei. Solche Gelegenheiten nutzen wir gern, um gemeinsame Ausflüge zu machen, sofern das Budget des Social Clubs es zulässt. Da die meisten Teilnehmer aus Entwicklungsländern und eher armen Familien stammen, haben sie nicht genügend Geld, um jede Woche Ausflüge zu unternehmen. Der Social Club ist eine Sparkasse, die wöchentlich aufgefüllt wird, wenn die Teilnehmer ihren sozialen Verpflichtungen, wie Essensausgabe, Abwasch, Waschzeiten einhalten, etc. gewissenhaft nachkommen. Für eine erfolgreiche Woche gibt es maximal 500 Rupien in den Social Club; das entspricht etwa 8 Euro.

Vor drei Wochen war es dann so weit das Sparschwein für einen gemeinsamen Strandausflug nach Veli zu köpfen. Veli ist ein wunderschöner Strand etwa eine dreiviertel Stunde von Vellayani, das Dorf in dem ich lebe, entfernt. Der Bus war ein recht ordentliches, sauberes Gefährt, ganz im Gegensatz zu den öffentlichen Verkehrsmitteln, das uns sicher an unser Ziel brachte.

Bevor man in Veli den Strand erreicht führt der Weg durch Grünanlagen, die für Touristen erbaut sind, und an großen Skulpturen vorbei. Trotz der indischen Mentalität und Kultur waren ein paar der überlebensgroßen Büsten und Körper doch wirklich nackt. Die Blinden hatten natürlich allerlei Spaß an den Steinfiguren herumzutasten und zu klettern. Dies ging allerdings nur solange gut, bis uns ein unfreundlicher Sicherheitsmann von den Steinwerken pfeifen musste. Beleidigt schlugen wir unser Picknicklager also neben den Figuren auf. Spaß hatten wir dennoch weiterhin!


Nach der Stärkung, von der ich heute noch schwärme, da sie aus italienischen Leckereien wie Salami, Käse und Brot bestand, die Isa von ihrem Urlaub mitgebracht hatte, machten wir uns weiter auf den Weg in Richtung Strand. Dass wir unsere reguläre Straßenkleidung anhatten, fiel uns allen auch erst auf, nachdem wir schon durch und durch nass im seichten Wasser standen. Ein paar von uns hatten mitgedacht und wenigstens Handtücher dabei gehabt. Einige andere mussten jedoch herumfragen, ob zufällig jemand, in weiser Voraussicht, zwei Handtücher eingepackt hatte, oder wenigstens ein Stück seines Handtuches entbehren könne.
Talal, Robert, Martin, Mohammed und ich haben mit einer Sandale, die wir gefunden hatten, noch ein wenig Beach-Rugby gespielt. Solange, bis mir die Rippen und Talal der Fuß weh taten.

Die Sonne war schon langsam am Untergehen, als ein paar Reiter am Strand ihren Pferden die Sporen gaben. Zum Glück hatte ich meine Kamera zur Hand und konnte ein paar schön Photos schießen.

Backwaters in Kollam

In Kerala gibt es viele Seen und mitunter auch eine riesige Ansammlung von Wasser im Landesinnern, das nicht direkt mit dem Meer an der Westküste Indiens in Berührung kommt. Diese Flüsse, Seen und Teiche, die miteinander verbunden ein schönes Touristenziel abgeben, nennt man hier die Backwaters. Ungefähr eine Woche nach unserem Veli-Trip haben wir von Tiffany's Vaters eine Bootstour in Kollam spendiert bekommen. Der ganze Campus, war natürlich überglücklich; und so machten wir uns, frohen Mutes, am Morgen des 17.10. mit einem Bus, der von innen eher die Ausstattung eines Flugzeuges bot, auf nach Kollam.

Zweieinhalb Stunden und ein paar lustige internationale Lieder später kamen wir dann an unserem Ziel an: Das Regent Palace Hotel, von dem wir mit einem Zubringer weiter fahren sollten, lag vor uns. Die Einrichtung des Hotels war mehr als prunkvoll, die Decken waren hoch und verziehrt. Hier verweilten wir noch kurz, um auf Robert zu warten, der nicht mit uns gefahren war, da er das Wochenende eigentlich mit Talal in Varkala verbringen wollte.

Mit einem kleineren Bus wurden wir von dort abgeholt und weiter, durch kleine Wohnsiedlungen und Wälder, zum Ablegesteg gefahren. Der kleinere Bus war echt unbequem und eng im Gegensatz zu unserem Vorherigen, der uns wohl ein wenig zu sehr verwöhnt hatte. Von dort brachte uns ein Boot aus Holz und Stroh zu einer kleinen Insel, die für uns den Tag lang als Aufenthaltsort diente. Von dort aus konnten wir mehrmals mit dem Boot auf die Backwaters fahren und bekamen wirklich gutes westlich-östliches Essen serviert.

Die Bootstour war überaus erholsam. Neben uns rauschte das Wasser, während wir auf einem höhergelegten Deck eines alten Metall-Plastikdampfers die Sonne genossen. Vögel flogen an uns vorbei, um nach Fischen zu fischen, Fischer auf rostigen Fischkuttern verfolgten das selbe Ziel durch anderes Vorgehen. Leider war die Bootstour nicht wirklich lang genug, um auch die kleinen Nebenarme der Gewässer zu befahren. Daher blieben wir hauptsächlich auf den großflächigen Seen, auf denen wir den Anblick der entfernten Dschungel direkt an denUfern genießen konnten.

Den Tag habe ich größtenteils mit Kyila und Pynhoi verbracht und Hängematten in Beschlag genommen. Unsere Hotspot-Insel sah aus, als wäre sie einem Urlaubskatalog entsprungen. Kleine Bungalows der Insel waren weiß bemalt und mit großen Glaswänden bestickt, Palmen wuchsen aus dem weißen Sand, durch den sich schmale Holzstege schlängelten, Hängematten waren von Palme zu Palme gespannt und um uns herum befand sich weites Wasser.
Ein Tag, den ich besimmt noch lange in Erinnerung behalten werde.

Seit neustem, also nicht einmal einer Woche, haben wir noch eine vierte Freiwillige bekommen. Sie heißt Amelia und ist die Tochter von Robert Christie, dem Presidenten der Robert Christie Foundation, die hier einen großen Spendenbeitrag zum Bau des IISE geliefert hat. Sie hat uns schon einmal mit ihrer Familie zusammen vor ein paar Wochen besucht und fand die Atmosphäre hier so schön, dass sie beschlossen hat, einen Teil ihrer Semesterpause hier zu verbringen. Ich habe im Moment nicht viel mit ihr zu tun, aber sie setzt sich sehr für die Teilnehmer ein und ist ein herzensguter Mensch!

Aufgrund meiner langen Blogpause hätte ich eigentlich noch viel mehr zu erzählen. Das bewahre ich mir dann allerdings für den nächsten Eintrag auf, der dieses mal garantiert nicht so lange auf sich warten lässt...





Eine kleine typische Seitenstraße




Teilnehmer ertasten das Stroh-Bambus-Dach unseres Kutters in Kollam





Mo und Martin





Auf dem Weg nach Kollam





Erste Reihe: Julius, James, Eric, Yoshi, Alica, Victor
Zweite Reihe: Johnson, Kyila, Holy, Pynhoi, Hussni
Dritte Reihe: Amjad, Robert, Phil, Martin

6 Kommentare:

  1. Jeah endlich....... aber nun muss ich erst einmal lesen.

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  2. Hättest du die Reihen auf dem Gruppenfoto nicht vordere, mittlere und hintere nennen können? ;)
    Ich freu mich immer über deine Einträge!
    Weiter so!
    Jo

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  3. toller Eintrag und immer wieder schön zu lesen.Klasse das die Blinden aus verschiedenen Ländern kommen und immer wieder Abweckslung da ist.Allerdings muss ich zur Bootstour sagen :Nie im Leben wäre ich dort mitgefahren.Beim Anblick würde man vermuten es fällt auseinander.Aber da sieht man mal wie viel Armut es in dem Land gibt und in welchem Reichtum wir doch Leben. Bis bald Ralph u. Geli

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  4. hallo philipp,

    schön wieder von dir zu lesen, und dann gleich so viel und wieder diese schönen bilder. ich finde toll das du uns alle mit dran teil haben lässt. es macht richtig spass zu lesen, weil du es so toll beschreibst, was dort alles passiert und was du erleben darf. hab weiterhin viel spass.

    die 3 holzmänner

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  5. hey phil!
    ha da hab ich mir glatt mal eine lernauszeit genommen um deinen langen eintrag zu lesen. ein bisschen abwechslung vom langweiligen muskeln auswendig lernen darf ja auch mal sein.
    freut mich, dass es dir weiterhin so gut geht, du tolle fotos hast und deine zeit offensichtlich genießt!

    also - einfach nur ein kurzer leieber gruß von mir, die leichtgestresste lern-meike

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  6. Hallo Philipp,
    sehr schön immer was von Dir zu erfahren,weiter so!!!Lesen immer ganz gespannt und voller Neugier was Du am anderen Ende der Welt so erlebst,siehst,gestaltest und bewegst!!
    Wir wünschen Dir eine gute und schöne Zeit dort!!Tina und Tom aus Bayern

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